Eine Reparaturwerkstatt in einem Fahrradladen ist bei weitem noch nicht in allen Geschäften zu finden, deshalb ist es immer noch ein Alleinstellungsmerkmal im Einzelhandel. Und der Bedarf ist groß: Der technische Fortschritt bei Fahrrädern nimmt ständig zu. E-Bikes und Pedelecs sind mit ihren Elektromotoren und Akkus ein Paradebeispiel dafür. Die Kunden sind oftmals nicht mehr in der Lage, Reparaturen selbst vorzunehmen. Eine eigene Werkstatt kann den Umsatz auch im Winter stabilisieren und im Frühjahr einen Ansturm auf das Geschäft auslösen, weil viele Kunden ihre Fahrräder für die neue Saison vorbereiten lassen wollen. Wer über die Gründung einer Fahrradwerkstatt nachdenkt, wird sich allerdings eine wichtige Frage stellen müssen: Ist dafür zwingend ein Meisterbrief erforderlich?
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Gilt in Deutschland für Fahrradwerkstätten der Meisterzwang?
Auf den ersten Blick lässt sich diese Frage eindeutig mit „Ja“ beantworten. Es gibt viele Berufe in Deutschland, in denen der Meistertitel die höchste Qualitätsgarantie darstellt. Kunden und Auftraggeber verlassen sich darauf, dass der Meisterbrief für Qualität bürgt. Mit der fundierten Ausbildung und langjährigen Berufserfahrung sind Sicherheit und Gütestandards verbunden. In manchen Berufen ist der Meistertitel sogar zwingend vorgeschrieben, so dass er für die Existenzgründung entscheidend ist. Dies gilt auch für den Zweiradmechaniker.
Auf den zweiten Blick fällt allerdings auf, dass längst nicht jeder Inhaber einer Fahrradwerkstatt auch tatsächlich über einen eigenen Meisterbrief verfügt. Viele Gründer fragen sich daher, wie sie ihre Werkstatt auch ohne Meistertitel sicher und legal betreiben können.
Mit der Neufassung der Handwerksverordnung im Januar 2004 kamen neue alternative Wege hinzu. So ist es beispielsweise möglich, durch die Anerkennung von Berufsjahren einen fehlenden Meisterbrief zu ersetzen.
Ausübungsberechtigung statt Meisterbrief
Nach der Handwerksordnung (HwO) kann auch ein „Gesellenbetrieb“ (statt eines Meisterbetriebes) gegründet werden, wenn bestimmte Vorgaben der HwO beachtet werden. So kann beispielsweise ein Unternehmen oder ein Betriebsleiter den fehlenden Meisterbrief durch eine andere Ausbildungsart ausgleichen. Die HwO erlaubt es dem Unternehmer, ohne Meisterbrief zu arbeiten, wenn er eine sogenannte „Ausübungsberechtigung“ erhält. Diese kann mit einer der folgenden Möglichkeiten erlangt werden:
Altgesellenregelung
Nach der Handwerksordnung § 7 (HwO) gilt unter bestimmten Voraussetzungen die „Altgesellenregelung“ (auch „Altgesellengleichheit“ genannt). Ein Geselle mit sechs Jahren Berufserfahrung ist nach dieser Regelung einem Meister quasi fachlich gleichgestellt. Darüber hinaus muss der Geselle mindestens vier der letzten sechs Jahre in einer leitenden Position mit entsprechenden Entscheidungsbefugnissen gearbeitet haben, um diesen Status zu erhalten. Dadurch kann er nachweisen, auch betriebswirtschaftliche, rechtliche und kaufmännische Kenntnisse zu besitzen, die er sonst in der Meisterausbildung erlernt hätte. Somit kann der „Altgeselle“ auch in zulassungspflichtigen Berufen einen Betrieb eröffnen, ohne selbst einen Meistertitel zu besitzen.
Gründung nach Studium
Besagter Paragraf 7 der Handwerksordnung besagt auch, dass eine andere Weiterbildung als Ersatz für die Meisterschule akzeptiert werden kann. So ist beispielsweise das Studium eines entsprechenden Gewerks mit einem Bachelor-Abschluss gleichberechtigt zum Meisterbrief eines Fahrradmonteurs und erlaubt Gründung und Betrieb einer eigenen Werkstatt.
Ausnahmebewilligung aufgrund unzumutbarer Belastung
Nach § 8 HwO kann ein Unternehmer, der einen Handwerksbetrieb gründen will, einen Antrag auf Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle stellen, sofern er über die notwendigen fachtheoretischen und praktischen Kenntnisse verfügt. Darüber hinaus muss der Gründer im Rahmen des Antrages stichhaltig begründen, warum er die Meisterprüfung nicht ablegen kann und warum sie ihn auch in Zukunft belasten würde. Dass die Ausbildung zeitlich und finanziell unzumutbar wäre, wird in der Regel nicht anerkannt, da alle Auszubildenden die gleiche Belastung erfahren.
Zu den anerkannten Gründen für eine solche Ausnahme zählen aber beispielsweise folgende:
- Der Antragsteller hat bereits ein fortgeschrittenes Lebensalter erreicht (ab ca. 47 Jahren).
- Der Antragsteller hat erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen.
- Der Antragsteller ist unverschuldet in die Arbeitslosigkeit geraten.
- Der Antragsteller erhält sehr kurzfristig die Möglichkeit, einen bestehenden Betrieb zu übernehmen (z.B. weil Krankheits- oder Altersgründe den bisherigen Inhaber zwingen, seinen Betrieb abzugeben).
- Der Antragsteller hat bereits andere mit der Meisterprüfung vergleichbare Prüfungen abgelegt
Anerkennung ausländischer Qualifikationen
Nicht-EU-Bürger, die in Deutschland einen gewerblichen Handwerksbetrieb eröffnen wollen, müssen eine EU-Bescheinigung vorlegen, die ihre berufliche Qualifikation in diesem Handwerksbereich bestätigt. Die Handwerkskammer bestimmt, wer zur Ausübung eines Handwerks berechtigt ist. Dazu muss der gründungswillige EU-Bürger einen schriftlichen Antrag stellen, in der Regel per E-Mail. Neben dem Antrag auf Erteilung der Handwerksberechtigung muss er alle erforderlichen Nachweise vorlegen, vor allem solche, die seine Berufserfahrung belegen.
Weitere Alternativen für eine Fahrradwerkstatt ohne Meisterbrief
Wer die Bedingungen für den Antrag auf Ausübungsberechtigung nicht erfüllt, dem stehen noch andere Wege offen, um trotz des Fehlens eines eigenen Meistertitels einen Handwerksbetrieb gründen zu können:
Übernahme eines bestehenden Betriebs
Wer einen bestehenden Handwerksbetrieb übernehmen kann, benötigt keinen Meisterbrief, wenn er bereits langjähriger Mitarbeiter ist. Dann ist davon auszugehen, dass die Geschäftserfahrung weitergegeben wurde. Die berufliche Laufbahn kann dann einen Meisterbrief ersetzen. Der Vorteil bei der Übernahme eines Betriebes ist, dass er bereits einen festen Kundenstamm hat und nicht von Grund auf neu aufgebaut werden muss.
Angestellte mit Meisterbrief beschäftigen
Der Gründer bzw. Inhaber einer Fahrradwerkstatt kann einen Zweiradmechanikermeister einstellen und zum technischen Betriebsleiter ernennen. Damit erreicht er auch ohne eigenen Meisterbrief die Eintragung in die Handwerksrolle und darf sein Geschäft fortan ebenfalls werbewirksam „Meisterwerkstatt“ nennen.
Unterschreiten der „Unerheblichkeitsgrenze“
Teilweise wird seitens der Handwerkskammer auf einen sonst erforderlichen Befähigungsnachweis verzichtet, wenn in einem Fahrradladen die Werkstattleistungen nur eine wirtschaftlich deutlich untergeordnete Rolle spielen. In der Regel kommt hier eine Unerheblichkeitsgrenze von ca. 20.000 Euro zum Tragen. Vermutlich lässt sich diese Grenze problemlos unterschreiten, wenn ein Fahrradgeschäft zum Beispiel nur hin und wieder einem guten Stammkunden mit Kleinstreparaturen oder einem Frühjahrscheck unter die Arme greift. Ein boomendes Werkstattgeschäft lässt sich auf diese Weise jedoch selbstverständlich nicht betreiben.
Quellenangaben:
selbststaendig.de/geschaeftsideen/fahrradgeschaeft
selbststaendigkeit-ideen.blogspot.com/2008/09/fahrrad-werkstatt-existenzgruendung.html
fahrradblog.de/kolumnen/vom-hobby-zum-beruf-eigenen-fahrradladen-eroeffnen/#Eigene_Werkstatt_im_Fahrradladen
firma.de/firmengruendung/selbstaendig-machen-ohne-meisterbrief-so-funktionierts/
firma.de/firmengruendung/meister-werden-durch-anerkennung-nach-berufsjahren-so-gehts/
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