Man nennt es Containern, Dumpster Diving oder Mülltauchen und meint damit das Durchsuchen von Müllcontainern nach brauchbarem Inhalt. Neben der Suche nach Leergut geht es vor allem um die Mitnahme von Lebensmittel, die noch genießbar aussehen. In Deutschland ist das Containern schon seit Anfang des Jahrtausends ein kontrovers diskutiertes Thema, vor allem weil das deutsche Rechtssystem das Mülltauchen unter Strafe stellt.
Das Statistische Bundesamt hat gemeinsam mit mehreren Forschungsstellen für 2020 ermittelt, dass in Deutschland insgesamt 10,9 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle angefallen sind. Eine Studie des WWF von 2015 erfasste einen breiteren Bereich und kam auf eine Zahl von rund 18 Millionen Tonnen, davon 2,58 Millionen Tonnen aus Supermärkten und Discountern. So oder so ist es eine erschreckende Lebensmittelverschwendung, denn während ein Teil der Bevölkerung im Überfluss lebt, kämpfen andere um das tägliche Brot. Auch in reicheren Staaten, wie bei uns, steigt die Zahl der Bedürftigen.
Doch mittlerweile containern immer mehr Menschen bewusst, weil sie damit auf die Ungerechtigkeit der Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen wollen. Das Containern kann als Akt des zivilen Ungehorsams verstanden werden, der den Druck auf die Politik erhöhen soll, Lösungen zu finden. Viele befürworten inzwischen dieses Verhalten.
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Warum werden Lebensmittel überhaupt entsorgt?
Lebensmittelläden – und nicht nur die – bieten Ware im Überfluss. Marketingmaßnahmen schüren die Erwartungen der Konsumenten an die verfügbaren Mengen, an Frische und Optik der Ware. Bis vor kurzem hatten Gemüse und Obst, die nicht den Standard erfüllten, kaum Verkaufschancen. Gerade vor Wochenenden oder Feiertagen ist schnell mal eine Menge falsch kalkuliert. Oder das Mindesthaltbarkeitsdatum – nicht das Verwendungsdatum! – ist überschritten. Ein Problem liegt darin, dass dann die Gewährleistung vom Hersteller auf den Handel übergeht. Und da dieser verpflichtet ist, gesundheitliche Risiken seiner Produkte auszuschließen, müsste er die Genusstauglichkeit abgelaufener Ware überprüfen lassen – das ist aufwendig und kostspielig. Entsorgen ist einfacher. Außerdem entgeht der Handel der Haftung nicht, wenn es durch containerte („unentgeltlich abgegebene“) Ware zu Infektionen kommen sollte.
Entsorgt werden bei uns vor allem leicht verderbliche Waren wie Brot und Backwaren, Obst und Gemüse, Kartoffeln und Milcherzeugnisse. Für die Erzeugung ist eine gewisse (Anbau-)Fläche erforderlich, die Herstellung hinterlässt einen erheblichen CO2-Fußabdruck und verbraucht immense Ressourcen.
Wenngleich sich die Verluste bei uns hauptsächlich auf Verteilerseite ergeben, ist nicht allein der Lebensmittelhandel für die Verschwendung verantwortlich: Zuviel angebaut, bestellt, angeboten, eingekauft, weiterverarbeitet, vorbereitet, zubereitet. Im Prinzip muss die gesamte Wertschöpfungskette „vom Feld bis zum Teller“ etwas dazu beitragen, dass weniger Lebensmittel verloren gehen. Es ist eine ethische Frage, dass wir unseren Mitteln zum Leben wieder mehr Wertschätzung entgegenbringen.
Auch wer nicht nach Müll taucht, kann bewusst etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun: Nicht zuviel einkaufen und richtig lagern. Auch Ware kaufen, die nicht dem Standardaussehen entspricht, denn Geschmack und Inhaltsstoffe sind nicht beeinträchtigt. Wer den Unterschied zwischen dem Mindesthaltbarkeitsdatum und dem Verbrauchsdatum kennt, wird genießbare Lebensmittel nicht voreilig wegwerfen.
Ist Containern in Deutschland legal?
Mülltaucher durchsuchen kaum die Abfalltonnen von Privatleuten, sondern bedienen sich an den großen Müllcontainern von Supermärkten und Lebensmittelgeschäften. Sie bewegen sich in Deutschland in einer rechtlichen Grauzone. Grundsätzlich gilt das Eigentumsrecht auch für weggeworfene Gegenstände. Sobald eine Person etwas in den Müll wirft, bleibt sie Eigentümer, bis der Müll von der Entsorgungsfirma abgeholt wird und dadurch in deren Eigentum übergeht. Es gibt noch keine verbindliche Rechtsprechung, die das Wegwerfen von Lebensmitteln in offenen und unverschlossenen Containern als Aufgabe des Besitzes wertet. Somit machen sich Mülltaucher im juristischen Sinne des Diebstahls strafbar, wenn sie sich an Entsorgtem bedienen. Hinzu kommt, dass Mülltonnen oft auf privatem Gelände stehen und das Betreten dieses Geländes ohne Erlaubnis als Hausfriedensbruch gewertet werden kann. Ganz kritisch wird es, wenn die Umfriedung oder die Tonne mit Schlössern gesichert ist, die für den Zugang aufgebrochen werden müssen.
Welche Strafen drohen beim Containern?
Wer beim Containern erwischt wird, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Die Vorwürfe reichen von Hausfriedensbruch über Diebstahl bis zu Sachbeschädigung. In der Regel werden sie mit Geldstrafen oder Sozialstunden bis hin zu Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren geahndet. Wiederholungstäter riskieren härtere Strafen.
Die Strafen variieren je nach Bundesland und den Umständen des Einzelfalls. So gibt es Fälle, in denen Verfahren eingestellt wurden, insbesondere wenn der Wert der entwendeten Waren gering war, keine weiteren Straftaten wie Sachbeschädigung begangen wurden oder der Händler die Anzeige zurückgezogen hat. Wenn die Staatsanwaltschaft von weiterer Verfolgung absieht, kann das Strafverfahren eingestellt werden; stattdessen ist eine Verwarnung möglich. Die Entscheidung liegt derzeit letztlich jedoch im Ermessen der zuständigen Staatsanwaltschaft und der Gerichte, was zu einer gewissen Rechtsunsicherheit führt.
Gibt es Bestrebungen zur Legalisierung des Containerns?
Leider ist die Datengrundlage über die Nahrungsmittelverluste in Deutschland noch dünn. Gearbeitet wird an konkreten Erhebungsmethoden und Monitoringsysteme entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die Zeitreihen und Jahresvergleiche ermöglichen sollen.
Die öffentliche Diskussion um Lebensmittelverschwendung und Nachhaltigkeit hat aber dazu geführt, dass immer mehr Stimmen eine Legalisierung des Containerns fordern. Auch Politiker verschiedener Parteien haben sich in den letzten Jahren dafür ausgesprochen. So könnten beispielsweise die Bundesländer die Richtlinien für Bußgelder und Strafen ändern. Über Straffreiheit kann jedoch nur der Bundestag entscheiden. Dort wurde Januar 2023 erstmals Vorschlag debattiert, die Mitnahme von entsorgten Lebensmitteln straffrei zu belassen, die Delikte Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung jedoch weiterhin als Straftat zu werten.
Welche Alternativen gibt es zum Containern?
Das bewusste Containern prangert die Lebensmittelverschwendung an, indes wird auch aktiv nach Lösungen gesucht: Einige Lebensmittelhändler stellen Körbe mit preislich reduzierter Ware auf, die im Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen, aber weiterhin genießbar ist. Manche bieten von sich aus so genannte „Goldene Tonnen“, aus denen man sich unentgeltlich bedienen kann. In vielen Städten gibt es mittlerweile „Fair-Teiler“, also öffentliche Kühlschränke, aus denen Lebensmittel mitgenommen werden können. Foodsharing-Plattformen und -Vereine, wie „die Tafel“, arbeiten mit Supermärkten und Restaurants zusammen, um überschüssige Lebensmittel zu sammeln und an Bedürftige zu verteilen.
Effektiv kann das jedoch nur sein, wenn Gesetzgeber, Unternehmen und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Eine Legalisierung des Containerns allein würde nur dazu führen, dass der Handel seine Entsorgungseinrichtungen noch besser sichert.
Die Bundesregierung ist bereits aktiv: Bis ins Jahr 2030 will sie Lebensmittelverluste halbieren. Ihre „Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“ setzt an allen Stellen der Versorgungskette an. Verbraucher sollen sensibilisiert werden, wobei dem Handel als einflussreiche Schnittstelle eine besondere Rolle zukommt. So ist eine der Maßnahmen der „Pakt gegen Lebensmittelverschwendung“, den im Sommer 2023 das Bundesernährungsministerium und bislang 14 Groß- und Einzelhändler geschlossen haben. Er basiert auf Freiwilligkeit, enthält aber 40 konkrete Maßnahmen. Unter anderem gibt es eine Selbstverpflichtung, verzehrfähige Lebensmittel weiterzugeben, beispielsweise an Mitarbeiter, Foodsharer oder an soziale Einrichtungen wie die Tafel. Auch Ware mit kleinen Schönheitsfehlern soll künftig verkauft werden. Die App „Zu gut für die Tonne“ unterstützt die Käufer mit Rezepten. Was ungeeignet für den Verzehr ist, soll einer möglichst hochwertigen Verwertung zugeführt werden.
Wie handhaben Nachbarländer das Containern?
Die EU-Mitgliedstaaten unterstützen das Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Vorrang haben Maßnahmen, Verluste und Verschwendung zu vermeiden, ansonsten greifen die Abfallrichtlinien der EU, die eine Kreislaufwirtschaft mit Weiterverwertung und Recycling vorsehen. Die EU hat einen Rat zu Lebensmittelverlusten und Verschwendung berufen, der im Oktober 2023 Ziele erörtert hat. Bereits 2016 waren eine Reihe von Initiativen entstanden, unter anderem Monitoring, Sensibilisierung der Bevölkerung, Erleichterung beim Spenden. Seit 2020 liegen als Instrumentarium der „Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft“ und die „Strategie vom Hof auf den Tisch“ vor. Währenddessen arbeiten die Mitgliedsstaaten parallel an der Umsetzung in nationales Recht.
Unser Nachbarland Frankreich hat bereits 2016 per Gesetz die Supermärkte verpflichtet, unverkaufte, aber noch genießbare Lebensmittel zu spenden, anstatt sie wegzuwerfen. Als Anreiz bekommen sie obendrein eine Steuererleichterung. Die Verschwendung von Lebensmitteln ist offiziell eine Straftat und wird mit einer hohen Geldbuße geahndet -sofern sie angezeigt wird.
Vergleichbare Gesetze gibt es auch in Italien oder Tschechien.
In anderen Ländern wie Österreich und der Schweiz ist die rechtliche Situation ähnlich wie in Deutschland, jedoch gibt es auch hier Bestrebungen, die Gesetzeslage zu ändern und das Containern zu entkriminalisieren.
Die demokratischen Mühlen mahlen langsam, aber insgesamt könnten solche Vermeidungsstrategien das Containern aus Frust oder Trotz unnötig machen, das Müllsammeln durch Bedürftige jedoch nicht.
Was können Sie tun, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden?
Auch wenn Sie sich nicht aktiv am Containern beteiligen möchten, gibt es viele Wege, um gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen. Eine bewusste Einkaufsplanung und die richtige Lagerung von Lebensmitteln können bereits viel bewirken. Informieren Sie sich über die Unterschiede zwischen dem Mindesthaltbarkeitsdatum und dem Verbrauchsdatum, um genießbare Lebensmittel nicht voreilig wegzuwerfen.
Die Unterstützung von Foodsharing-Initiativen oder die Teilnahme an lokalen Projekten zur Lebensmittelrettung sind weitere Möglichkeiten, um einen Beitrag zu leisten. Indem Sie bewusster konsumieren und sich für nachhaltige Praktiken einsetzen, tragen Sie dazu bei, die Verschwendung zu reduzieren und die Ressourcen unseres Planeten zu schonen.
Schlussgedanken: Die Zukunft des Containerns in Deutschland
Das Containern bleibt in Deutschland ein kontroverses Thema, das rechtliche, soziale und ökologische Aspekte miteinander verknüpft. Während die aktuelle Gesetzeslage Containerer kriminalisiert, gibt es immer mehr Bestrebungen, diese Praxis zu entkriminalisieren und alternative Lösungen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung zu finden. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass gesetzliche Regelungen möglich und wirksam sind. Die Zukunft des Containerns in Deutschland hängt von der Bereitschaft aller Akteure ab, gemeinsam an einer nachhaltigeren und gerechteren Gesellschaft zu arbeiten.
Quellenangaben:
wikipedia.org/wiki/Containern
kurier.de/inhalt.containern-ein-trend-in-der-grauzone.fc59721f-6239-40d5-92fe-53b87477b6c7.html
sueddeutsche.de/wirtschaft/lebensmittel-verschwendung-containern-1.4331886
verbraucherzentrale.de/wissen/digitale-welt/datenschutz/containern-von-lebensmitteln-was-das-ist-und-warum-es-verboten-ist-85065
verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/auswaehlen-zubereiten-aufbewahren/lebensmitteleinzelhandel-vom-krummen-obst-und-gemuese-bis-zum-mhd-59546
verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/auswaehlen-zubereiten-aufbewahren/mindesthaltbarkeitsdatum-mhd-ist-nicht-gleich-verbrauchsdatum-13452
bundesregierung.de/breg-de/themen/tipps-fuer-verbraucher/pakt-lebensmittelverschwendung-2198886
bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/strategie-lebensmittelverschwendung.html
bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/pakt-gegen-lebensmittelverschwendung.html
consilium.europa.eu/de/policies/green-deal/
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