Bei „Barrierefreiheit“ denkt man oft zuerst an hindernislose Zugänge für Rollstuhlfahrer. Gemeint ist aber generell, es Menschen mit Behinderung zu ermöglichen, ihren Alltag so weit wie möglich eigenständig zu gestalten. Und dabei geht es nicht allein um Rollstuhlfahrer. Beeinträchtigungen können motorisch, sensorisch oder kognitiv sein und damit ganz unterschiedliche Hürden bewirken, die es zu bewältigen gilt. Wie Sie das Einkaufen in Ihrem Geschäft für Menschen mit Behinderung angenehmer machen können, erläutert Ihnen dieser Ratgeber.
Inhaltsverzeichnis
Gesetzliche Vorgaben – Bauvorschriften sind Ländersache
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) soll Menschen, die körperlich, intellektuell oder psychisch behindert oder sinnesbehindert sind, sowie Personen, die ihnen nahestehen, vor Diskriminierung schützen. Wie sich „Barrierefreiheit“ beim Einkaufen definiert, ist Ländersache und steht in der Verkaufsstättenverordnung (VkVO). In NRW gilt sie für Geschäfte mit mehr als 2.000qm und regelt Mindeststandards für Konstruktion, Sicherheit und Brandschutz. Aber auch in kleineren Ladenlokalen und insbesondere, wenn Sie neu bauen, können Sie eine Menge tun, damit sich Menschen mit Behinderung in Ihrem Geschäft wohlfühlen. Die Bauordnung für NRW sieht barrierefreies Bauen für öffentlich zugänglich Anlagen wie Verkaufs-, Gast- und Beherbergungsstätten sowie Stellplätze, Garagen und Toilettenanlagen vor und hat dafür DIN-Normen und Empfehlungen erlassen. Dabei gibt es Ausnahmen, wenn „wegen schwieriger Geländeverhältnisse oder wegen ungünstiger vorhandener Bebauung Auflagen nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand erfüllt werden können.“
Neubau möglichst barrierefrei
Bei einem Neubau können Sie Barrierefreiheit direkt mit einplanen. Für einen nachträglichen Umbau eines bestehenden Gebäudes sollten Sie mit dem Architekt besprechen, was möglich ist. Denn eine Umbaumaßnahme ist nicht immer so leicht umzusetzen, wie gedacht, und kann durchaus kostspielig werden. Wenn beispielsweise eine unpassierbare Treppe an einem Altbau sich nicht durch eine Rampe ersetzen lässt, ist vielleicht der Einbau eines Lifts eine Alternative. Denn laut BGG „kann von Anforderungen abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die Barrierefreiheit erfüllt wird.“
Barrierefrei schon vor dem Geschäft
Ein Parkplatz möglichst direkt vor dem Geschäft ist für Menschen mit Behinderung eine Erleichterung, wenn er ausreichend groß ist, dass sie gut rangieren können. Neben einem Parkplatz für ein Auto kann auch eine gerade Abstellfläche für Kinderwagen, einen Seniorenfahrstuhl oder auch Gepäck hilfreich sein. Bestenfalls gibt es Möglichkeiten, diese Fahrzeuge abzuschließen.
Ein barrierefreier Zugang bei erhöhten Eingängen lässt sich über eine Rampe schaffen. Das geht auch in Kombination mit der Treppe. Wichtig ist, dass die Rampe nicht zu steil, nicht zu lang und nicht quer geneigt ist. Für die genauen Maße gibt es DIN-Normen und feste Regeln, u. a. beidseitig Handläufe, Radabweiser, weniger als 6 % Gefälle, sonst sind Absätze erforderlich.
Eine Alternative zur Rampe ist ein Lift. Er muss ebenfalls bestimmte Abmessungen haben, damit ein Rollstuhl genauso wie ein Kinderwagen hineinpasst. Wichtig ist, dass ausreichend Platz zum Rangieren bleibt.
Neben einem Eingang mit Drehtür oder Karusselltür sollte eine „normale“, aber breite Tür vorhanden sein. Sie dient gleichzeitig als Fluchttür, falls der Strom ausfällt, während eine Automatiktür dann nicht mehr funktioniert. Eine kontrastreiche Beleuchtung im Eingang ist Pflicht.
Leitsystem im Ladengeschäft
Eine Übersichtstafel im Foyer dient nicht nur Menschen mit Behinderung als Orientierungshilfe, sich in Ihrem Laden zurechtzufinden und vielleicht gezielt das Gewünschte anzusteuern.
Ein farbiges Leitsystem auf dem Boden hilft Sehbehinderten, den Weg zu finden. Wenn es zusätzlich haptisch hervorsticht, können auch Blinde Ihren Laden durchqueren.
Auf jeden Fall müssen Sie Gefahrenstellen kennzeichnen, und zwar unmittelbar davor. Im Falle eines Brandes ist es für jeden wichtig, Treppen, Rampen, enge Durchlässe, Glasscheiben oder Türen rechtzeitig zu erkennen und die Rettungswege zu finden. Dabei folgt man den Zwei-Sinne-Prinzip: Ein optisches Zeichen wird durch ein taktiles oder akustisches ergänzt, so dass jeder in der Lage ist, rechtzeitig zu reagieren. Entsprechende Hinweisschilder kombinieren die Zeichen, einige sind sogar mit Blindenschrift versehen. Schaffen Sie ein einheitliches Kennzeichensystem, das leicht verständlich ist.
Rücksichtnahme zeigt sich auch in der Ladengestaltung
Häufig liegen Fußmatten im Eingangsbereich, damit weniger Schmutz in den Laden getragen wird oder Nässe abgestreift wird. Achten Sie darauf, dass die Matte verrutschfest liegt und zum Befahren mit Rollstuhlreifen geeignet ist.
Rutschfest sollte auch der Bodenbelag sein, mindestens dort, wo Publikumsverkehr ist. Eine allzu glattglänzende Oberfläche sollten Sie vermeiden, sie blendet nicht nur Sehbehinderte.
In Geschäfte mit hohen Besucherzahlen ist eine Laufzonenbreite von 180cm bis 220cm vorgeschrieben, ansonsten reichen 150cm. Sie muss hindernisfrei sein. Diese Gänge sind mit Reflektoren auszustatten, die sie als Rettungswege kennzeichnen. Selbst Durchgänge sollten noch mindestens 90cm breit sein.
Um Türen gut öffnen zu können – im Laden oder an Schränken – sollten die Griffleisten gut zu erkennen und zu umfassen sein.
Glasflächen kontrastreich zu kennzeichnen sind, versteht sich von selbst.
Für Treppen gilt, wie für die Rampen, dass sie einen beidseitigen Handlauf haben sollten und Markierungsstreifen an den Trittstufenenden. Vorteilhaft für Menschen mit Behinderung ist es, wenn die Treppe einen geraden Verlauf hat.
Vor Rolltreppen ist für einen verlängerten Einstieg zu sorgen. Die Fördergeschwindigkeit sollte unter 0,5 m/s liegen.
Auch vor Aufzügen ist eine vergrößerte Wartefläche sinnvoll. Der Fahrkorb muss eine Mindestgröße von 140cm x 110cm haben. Empfehlenswert ist ein waagerechtes Bedienplateau in 85cm Höhe. Ein Rückspiegel, ein umlaufender Handlauf sowie eine akustische Ansage sind weitere Annehmlichkeiten für Menschen mit Behinderung.
Halten Sie Sitzgelegenheiten vor, das werden Ihnen nicht nur Menschen mit Behinderung danken.
Sonderausstattung für sanitäre Anlagen
Ein barrierefreier Zugang zu den Sanitärräumen mit ausreichend Bewegungsfreiheit ist das Mindeste, das Sie anbieten können. Stütz- und Handhaltebügel sowie tief angebrachte Lichtschalter und auch geneigte Spiegel sind keine teure Investition. Temperaturbegrenzte Einhebelmischarmaturen mit langen Hebeln kommen ebenfalls allen zugute. Sonderausstattungen sind absenkbare WCs und Waschbecken.
Bequemes, barrierefreies Einkaufen dank achtsamer Ladeneinrichtung
Nicht nur Rollstuhlfahrer brauchen ausreichend Bewegungsfläche, um alleine gut an die präsentierten Waren zu gelangen. Auch Einkäufer mit Kinderwagen oder Rollator sind dankbar für Platz. Zum Wenden ist eine Fläche von 150cm x 150cm ideal. Berücksichtigen Sie einen größeren Platzbedarf außerdem bei Ihren Umkleidekabinen, was für ältere Menschen ebenfalls komfortabel ist.
Platz zwischen den Regalen bedeutet auch, dass keine Kundenstopper, Papierkörbe oder ähnliches im Wege stehen.
Der optimale Griffbereich im Regal liegt zwischen 40cm und 125cm. Dann kommen sowohl Rollstuhlfahrer als auch ältere Menschen an die Ware. Um ein Regal seitlich anfahren zu können, ist eine Bewegungstiefe von 120cm sinnvoll. Empfehlenswert ist es auch, wenn Theken unterfahrbar sind.
Um die eingekauften Waren abzulegen, brauchen Rollstuhlfahrer einen Einkaufwagen, der unterfahrbar ist. Alternativ bieten Sie Einkaufshopper an. Es gibt sogar schon Einkaufswagen, die selbst fahren und den Kunden am Gesicht erkennen. Eine Leselupe am Einkaufwagen hilft bei Sehschwäche.
Die Preisauszeichnung sollte ausreichend groß und kontrastreich sein. Informationen verfassen Sie am besten in einfacher Sprache, dann sind sie für jeden verständlich.
Eine tief angebrachte Waage für Lebensmittel hilft Rollstuhlfahrern genauso wie kleinwüchsigen Menschen.
Gleiches gilt für die Kasse: Hier sollten Sie einen Kunden, der sitzt, bedienen können. Denken Sie auch hier wieder an einen ausreichend großen Wendekreis. Damit der Kunde ihre Kasse findet, brauchen Sie eine deutliche Kennzeichnung.
Nicht überall lässt sich alles verwirklichen, insbesondere in kleinen Ladenlokalen nicht. Das können Sie zumindest teilweise durch Servicedienste kompensieren: Ein Mitarbeiter kümmert sich auf Wunsch um den Kunden, hilft ihm beim Einkauf, beim Bezahlen und beim Verladen.
Besonderheiten beim barrierefreien Einkauf
Aus England kommt die Idee einer „stillen Einkaufsstunde“: Für eine gewisse Zeit wird das Licht gedimmt, die Hintergrundmusik ausgeschaltet und die Werbung ausgeblendet. Das nimmt autistischen Kunden den Stress beim Einkauf, den sie durch Überstimulation erleiden.
Um die Scheu vor Kunden mit Behinderung zu verlieren und für ihre Bedürfnisse zu sensibilisieren, bieten Behindertenverbände und Organisationen Schulungen an. So ist beispielsweise das Umstellen von Produkten eine beliebte Maßnahme, Kunden neu an das Sortiment heranzuführen, bringt aber Menschen mit Behinderung mitunter in Schwierigkeiten.
Eine barrierefreie Bauweise können Sie beispielsweise nach „DIN CERTCO“ zertifizieren lassen. Der TÜV überprüft so auch Produkte, Produkte und Dienstleistungen auf Konformität.
Der Handelsverband Deutschland hat 2010 das Siegel „Generationenfreundliches Einkaufen“ herausgebracht. Es ist als Zeichen für Barrierearmut zu verstehen, denn es erfordert nicht die Umsetzung aller Anforderungen an die Nutzungsqualität für Menschen mit Behinderung. Die meisten Kriterien beziehen sich auf mobil eingeschränkte Personen. Mit diesem Siegel zeigen rund 10.000 geprüfte Betriebe, dass Sie die Belange aller Ihrer Kunden ernst nehmen und ihnen größtmögliche Unterstützung beim Einkauf in Ihrem Laden zusichern. Ihre Kunden sollen sich wohlfühlen, und das können sie, wenn es ihnen mühelos möglich ist, zu tun, was sie möchten.
Da sich gerade Menschen mit Behinderung meistens im Vorfeld nicht nur über das Sortiment, sondern auch über das Geschäft selbst erkundigen, ist es ratsam, Informationen zum Grad der Barrierefreiheit in Ihrem Ladenlokal bekanntzumachen: auf Ihrer Website, an Ihrer Ladentür, eventuell bei Ihren Anzeigen.
Fazit: Barrierefreiheit im Ladenbau ist ein großes Thema
Barrierefreiheit ist eine ganzheitliche Aufgabe, die allen Menschen mit gleich welcher Art von Behinderung mehr Nutzungsqualität in Ihrem Geschäft bieten soll. Sie haben die Stellschrauben dafür beim Gebäude, im Ladenbau, in der Organisation und in der Kommunikation in der Hand. Die Anforderungen und Regeln sind nachlesbar; Methoden und passende Produkte sind verfügbar.
Quellenangaben:
bertzgmbh.de/news/barrierefreiheit-im-ladenbau-ein-immer-wichtigerer-faktor/
netz-gmbh.de/bauen/sanierung/altersgerechtes_wohnen/barrierefreiheit-gewerbe
bpass.eu
rehacare.de
recht.nrw.de
blog.zeit.de
mhkbg.nrw
nullbariere.de/barrierefreie-verkaufsstaetten.htm
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Um barrierefrei einkaufen gehen zu können, braucht man auf jeden Fall Automatiktüren. Denn nur dann kann kommt man in den Laden. Mich würde es ärgern, wenn Kleidungsläden keine Automatiktüren hätten.